Ich habe lange mit mir gerungen – soll ich einen Beitrag über ein Ereignis schreiben, über das man jetzt nicht mit aller Gewalt etwas schreiben muss? Intelligentere Geister als ich würden jetzt vielleicht einfach den Mantel des Schweigens ausbreiten und Gras über die Sache wachsen lassen …
Dennoch. Um ehrlich zu sein, Tag Nr.3 war am Montag – jetzt ist Samstag. Habe ich jetzt so lange über dieses Thema gebrütet? Um ehrlich zu sein: nicht wirklich. Es gab andere Dinge, wie z.B. das Flugzeugunglück mit 150 Toten in Frankreich. Eine fast einwöchige Dienstreise, mit Transport, Aufbau, Übergabe und Schulung für die neuen Besitzer des Dings, das da transportiert worden ist.
Aber wie immer, es gibt ein „Aber“. Einerseits gekränkte Egos, eine abgebrochene Veranstaltung und natürlich die Frage nach dem Warum, nach dem „was zum Teufel ist da jetzt schiefgegangen?“.
Long Story short: Der Dozent hat eine Aufgabe für den 3. Tag gestellt und natürlich kam das kommen musste: Die Gausche Glockenkurve hat zugeschlagen. Einer hat alle Punkte der Aufgabe erledigt, einer (fast) nichts und der große Rest hat einen Teil gemacht. Also die übliche Normalverteilung. Und natürlich gab es den Effekt, den jeder aus der Schule und dem Studium kennen sollte: Die Schüler fanden die Aufgabe zu schwer und der Lehrer eigentlich noch viel zu leicht. Es gab eine kurze Diskussion, an deren Ende der Dozent die Veranstaltung für beendet erklärt hat und einfach fünf Leute mit offenen Mündern hat stehen lassen.
Über die Frage, ob das in Ordnung ist oder nicht, kann man sich streiten, ebenso darüber, ob die eine oder andere Äußerung zu dem Thema wirklich notwendig war.
Kommen wir zum Korpus Delikti, den fünf Kurzgeschichten aus dem 19. Jahrhundert. Ein Exkurs in die Anfänge der literarischen Kunstform Kurzgeschickte? Natürlich, warum nicht? Man will schließlich etwas lernen und so denn auf zur Tat.
Gut die Texte gab es als Link auf die englische Version, fairerweise mit den Namen der deutschen Übersetzung. Die Version in englischer Sprache ließ sich also eigentlich problemlos beschaffen, bei der deutschen Version sah das schon etwas anders aus.
Nun denn, also versuche ich mich dann mal größenwahnsinnig, wie ich bin, an Herman Melvilles “Bartleby, the Scrivener” (1853, “Bartleby, der Schreiber“). Blamed to be an owner of pragmatic english language skills, Google and Leo got good friends for the next few days. Nach der Recherche, was es denn nun mit dem amerikanischen Postsystem und den toten Briefen auf sich hat, verschaffte das mir weitere erhellende Ansichten über eine vergangene Welt. Eine Welt, die mir fremder ist als die Welten der Zukunft. Ich ertappe sich selbst immer wieder, wie ich mir die Frage stelle, wie würde das hier ohne Computer überhaupt alles funktionieren?
Offensichtlich muss das ja irgendwie funktionieren. Mit Papier und Schreibfedern. Keine Kopierer, keine Emails, keine Drucker, keine Scanner. Keine Garantie, dass die händische Kopie des Geschriebenen mit dem Original übereinstimmt.
Nun diese Fragen sind jetzt vollkommen unliterarisch, aber für das Verständnis der Geschichte meiner Meinung nach unumgänglich.
Nun denn, wie wohl nach der Lektüre der 3 von 5 aufgegebenen Geschichten fällt auch hier ein etwas ausschweifender Erzähler in der ersten Person auf. Ob das jetzt Vorliebe des Dozenten oder Standard der damaligen Zeit ist, kann ich ehrlich gesagt nicht beurteilen. Bei Melville zumindest ist dieses ein sehr sympathischer älterer Herr, der die Schrullen seiner Angestellten mit unglaublichem Langmut erträgt und sich zudem aufopfernd um sein besonderes Sorgenkind, eben besagten Schreiber Bartleby, kümmert.
Nun die Wendung bzw. die Auflösung der Geschichte lass ich hier einfach mal wegfallen, aber dennoch erfüllte mich eine ebenso wohlige Stimmung wie nach der Lektüre von Dan Simons „Die Hyperion-Gesänge“. Eine faszinierende Mischung aus Langeweile und Spannung. Die Frage: „Was ist den nun mit diesem Bartleby los?“ hält einen gefangen und in der Geschichte. Das trotz einiger Längen in der Erzählung und einiger notwendiger Recherchepausen. Melville versteht es meisterhaft ein Spannungsfeld aufzubauen, an dem er seine sozialkritische Geschichte in voller psychologischer Tiefe an den Mann vermitteln kann. Ein Meisterwerk!
Und dann, ja dann kam die Kurzgeschichte von Cechov. Es ging wohl nicht nur mir so das sich hier die Genialität der Geschichte nicht erschließen ließ. Ob es an meiner Beherrschung oder besser Nichtbeherrschung des Englischen lang, wer weis …
Dann die Geschichte von Edgar Alan Poe. Nach ein paar Sätzen habe ich mir dann noch den Text auf Deutsch organisiert (0,99 €, die gesammelten Werke Poes). Nun das man in heutiger Zeit mit dem durchkommen würde, was Poes Erzähler hier so von sich gibt? Ich erdreiste mich das hier einfach mal anzuzweifeln. Die Geschichte lässt sich wohl nur über die Betrachtung der Metaebene, die Interpretation der Figuren als Prinzipien als „wertvoll“ erachten. Ob das so vom Autor vorgesehen war? Wer weis, eine Diskussion hätte das vielleicht zu Tage gefördert …
Nun diese Frage hätte vielleicht auf dem Seminar erörter werden können. Schade, mit dem Abbruch der Reihe wurden viele Chancen vertan.
Und die anderen Geschichten? Ehrlich, keine Ahnung! Ich habe sie nicht gelesen. Wenn ich Zeit dafür und die deutsche Version finde, werde ich mich vielleicht daran versuchen …
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